Herr Netousek und der Anzug, in dem man wohnt
Thomas Netousek ist ein wandelnder Anachronismus. In einer Zeit, in der Handelsketten Kleidung per Kilo anbieten, sitzt der Schneidermeister in seinem Atelier und nimmt sich ein geradezu unanständiges Maß an Zeit für seine Kunden. Bis zu 60 Stunden baut er mit seinen Mitarbeitern an einem neuen Anzug. Mit ruhiger Hand setzt er die Stiche, wie einer archaischen Dramaturgie folgend bewegen sich die Herren Netousek, Vater und Sohn, einem Ballett gleich, schweigend durch ihre Werkstatt. Kein Wort zu viel, alles auf das Wesentliche konzentriert.
Handgriff für Handgriff arbeitet Thomas Netousek an seinem Werk, so wie es schon sein Vater und sein Großvater gemacht haben. Zuerst wird Maß genommen, dann der Schnitt auf Papier gezeichnet. Nach dem Zuschnitt erfolgt die erste Anprobe. Dann die zweite. Dann die dritte. Mit viel Zeit und Muße nähern sich die Netouseks der perfekten Passform. Und schlagen so der Schnelllebigkeit ein Schnippchen. Und genau darin liegt die Magie der Maßarbeit. Ein Stück, das nach Maß gefertigt ist, richtet sich nicht nach Trends, sondern nach der Form dessen, für den es bestimmt ist. Ein Stück, das nach Maß gefertigt ist, sucht nicht nach schnellen Lösungen, sondern nach dauerhaften Möglichkeiten, die Jahre überdauern und Moden überleben. Ein Stück, das nach Maß angefertigt ist, engt nicht ein, zwickt nicht und bringt einen auch nicht dazu, sich zu verbiegen. Im Gegenteil: „Maßarbeit ist wie ein Anzug, in dem man gerne wohnt“, sagt Thomas Netousek.